Rentenversicherungen – ewiger Widerspruch und Stärkung von Verbraucherrechten

Hintergrund: Widerspruch bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung

 Bei Lebens- und Rentenversicherungsverträgen (insbesondere Basisrenten bzw. Rürup-Renten) aus den 2000er-Jahren kam es häufig vor, dass die Versicherer unvollständige oder fehlerhafte Verbraucherinformationen und Widerrufsbelehrungen verwendeten.

In solchen Fällen beginnt die 30-tägige Widerspruchsfrist nicht zu laufen. Dies eröffnet dem Versicherungsnehmer ein „ewiges“ Widerspruchsrecht – also die Möglichkeit, dem Vertrag auch Jahre nach Abschluss noch zu widersprechen.

Ein wirksamer Widerspruch führt zur Rückabwicklung des Vertrages, als wäre er nie geschlossen worden. Der Versicherer muss die gezahlten Prämien erstatten und den Vertrag beenden. 

Die folgenden Urteile haben diese Rechtslage wesentlich geprägt und präzisiert. Im Bericht werden die zentralen Aussagen der Entscheidungen und deren Bedeutung für Versicherungsnehmer dargestellt – insbesondere, ob sie die Rückabwicklung erleichtern oder erschweren.

OLG Karlsruhe 2019 – Unvollständige Information führt zu „ewigem“ Widerspruchsrecht (Az. 12 U 134/17)

Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe entschied am 28.06.2019, dass bei einem fondsgebundenen Rentenversicherungsvertrag die Widerspruchsfrist nie zu laufen begann, weil der Versicherer dem Kunden wesentliche Verbraucherinformationen vorenthalten hatte. 

Konkret fehlte die Information über die Zugehörigkeit des Versicherers zum Sicherungsfonds (gesetzliche Insolvenzschutz-Einrichtung). Dieser Informationsmangel machte die Widerrufsbelehrung insgesamt fehlerhaft, so dass dem Kunden zeitlich unbeschränkt ein Widerspruch möglich war.

Bemerkenswert ist, dass der Versicherungsnehmer in diesem Fall ursprünglich nur eine Feststellung beantragt hatte, dass der Vertrag nicht wirksam zustande gekommen sei. In der Berufungsinstanz durfte er jedoch auf eine Leistungsklage (Stufenklage) umstellen. Dadurch konnte er direkt die Rückzahlung verlangen, was die Durchsetzung seiner Ansprüche erleichterte.

Konsequenz für den Versicherungsnehmer: Durch das Urteil des OLG Karlsruhe wurde klargestellt, dass formale Fehler des Versicherers dem Kunden zugutekommen. Selbst viele Jahre nach Vertragsabschluss (hier: Vertrag aus der Zeit des Policenmodells) konnte der Kunde noch widersprechen und den Vertrag rückabwickeln.

Dabei erhielt er deutlich mehr als den regulären Rückkaufswert: In dem vom OLG entschiedenen Fall bekam die Kundin neben dem Fondsguthaben auch die abgezogenen Abschluss- und Verwaltungskosten samt Zinsen zurück – insgesamt ein Mehrerlös von über 60% im Vergleich zum Vertragswert. 

Dieses verbraucherfreundliche Ergebnis verdeutlicht, dass fehlerhafte Belehrungen die Rückabwicklung massiv erleichtern, da der Kunde finanziell so gestellt wird, als hätte er den Vertrag nie abgeschlossen.

OLG Stuttgart 2022 / BGH 2023 – BGH bestätigt Rückabwicklung einer Allianz-Rürup-Rente (Az. IV ZR 41/22)

Ein weiteres wichtiges Verfahren betraf eine Basisrentenversicherung (Rürup-Rente) bei der Allianz, abgeschlossen 2009. Der Versicherungsnehmer widersprach 2020 dem Vertrag. Während das Landgericht die Klage des Kunden zunächst abwies, änderte das Oberlandesgericht Stuttgart in zweiter Instanz seine bis dahin versicherungsfreundliche Rechtsauffassung und stellte sich auf die Seite des Verbrauchers. 

Das OLG befand, dass wichtige Vertragsinformationen unvollständig und die Widerrufsbelehrung fehlerhaft waren. Folglich habe die Widerspruchsfrist nie zu laufen begonnen. Der späte Widerspruch war daher wirksam und führte zur vollständigen Rückabwicklung des Vertrages.

Zudem wies das OLG Einwände der Versicherung zurück, wonach der Widerspruch treuwidrig oder missbräuchlich sei. Insbesondere argumentierte die Allianz, der Kunde habe über Jahre Steuervorteile aus dem Rürup-Vertrag gezogen, zusätzliche Beiträge eingezahlt und den Vertrag später beitragsfrei gestellt – dies müsse einer Rückabwicklung entgegenstehen. 

Das Oberlandesgericht sah dies jedoch nicht als durchschlagend an und erklärte, solche Umstände machten den gesetzlich vorgesehenen Widerspruch nicht unwirksam. Für Versicherungsnehmer bedeutet das: Die Ausübung des späten Widerspruchs wird nicht als Rechtsmissbrauch gewertet, selbst wenn der Vertrag bis dahin genutzt wurde (Steuervorteile, Zuzahlungen etc.). Lediglich eventuelle steuerliche Folgen (etwa Nachversteuerung früherer Vorteile) betreffen den Kunden, berühren aber nicht die Wirksamkeit des Widerspruchs aus Sicht des Zivilrechts.

Die Allianz Lebensversicherung legte Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) ein – jedoch ohne Erfolg. Der BGH wies die Revision mit Urteil vom 11.10.2023 zurück und bestätigte damit vollumfänglich die Entscheidung des OLG Stuttgart. 

In der Revisionsentscheidung stellte der BGH klar, dass der vom Verbraucher erklärte Widerruf wirksam ist und die Allianz den Vertrag rückabwickeln muss. Auf Anschlussrevision (Gegenberufung) des Versicherungsnehmers wurde die Allianz vom BGH sogar verpflichtet, zusätzliche Zinsen zu zahlen, die das Berufungsgericht dem Kunden noch nicht zugesprochen hatte. 

Mit Rechtskraft des BGH-Urteils steht fest, dass die Allianz dem Kunden den Vertrag rückabwickeln muss und zwar durch Auszahlung des ungezillmerten Rückkaufswertes einschließlich Überschussanteilen. 

„Ungezillmert“ bedeutet, dass keine Abschlusskosten einbehalten werden dürfen – der Kunde erhält also die verzinste Summe aller eingezahlten Prämien, abzüglich lediglich der bereits verbrauchten Risikobeiträge und Verwaltungskosten . Dieses Urteil ist insofern bahnbrechend, als nun höchstrichterlich bestätigt wurde, dass die in den Jahren 2008–2010 von manchen Versicherern – insbesondere der Allianz – verwendeten Belehrungen fehlerhaft waren. 

Ein Widerspruch ist somit auch heute noch möglich, und zwar nicht nur bei klassischen Lebens- und Rentenversicherungen, sondern ausdrücklich auch bei Rürup-Basisrenten.

Bedeutung für Versicherungsnehmer: Das BGH-Urteil vom 11.10.2023 schafft endgültige Rechtssicherheit zugunsten der Verbraucher. Erstmals hat das höchste Zivilgericht bestätigt, dass Rürup-Verträge trotz ihres eigentlich unwiderruflichen Charakters widerrufen und

rückabgewickelt werden können, sofern die Belehrung oder Informationen fehlerhaft waren. Für betroffene Kunden wird die Rückabwicklung erheblich erleichtert: Versicherer können sich nicht mehr erfolgreich auf vermeintlichen Rechtsmissbrauch berufen, und die Berechnung der Rückabwicklung fällt verbraucherfreundlich aus (Erstattung praktisch aller eingezahlten Beträge plus erwirtschafteter Überschüsse/Zinsen). Dieses Urteil dürfte zahlreiche Versicherungsnehmer ermutigen, von ihrem späten Widerspruchsrecht Gebrauch zu machen, da klar ist, dass die Gerichte – bis hin zum BGH – ihre Ansprüche stützen.

BGH 2024 – Fortbestehendes Widerspruchsrecht und Verwirkungseinwand (Az. IV ZR 306/22)

In einem weiteren Fall entschied der BGH mit Urteil vom 24.01.2024, dass auch bei einer Generali Rürup-Rente (ehemals AachenMünchener) die Widerrufsbelehrung fehlerhaft war . Die Versicherungsnehmerin hatte 2008 einen Basisrentenvertrag abgeschlossen und im Jahr 2020 den Widerspruch erklärt  . Der BGH stellte klar, dass dieser Widerspruch nicht verfristet war – trotz der rund zwölf Jahre seit Vertragsschluss  . Weil die Belehrung nicht ordnungsgemäß erteilt wurde, stand der Kundin das Widerspruchsrecht weiterhin zu. Damit bestätigt der BGH erneut, dass ein später Widerruf zeitlich unbegrenzt möglich ist, wenn die gesetzlichen Vorgaben für Belehrung/Information nicht erfüllt wurden              .

Allerdings brachte dieser Fall einen weiteren Aspekt zur Sprache: den Einwand der Verwirkung. Die Generali hatte – wie zuvor schon manche Versicherer – argumentiert, das Widerspruchsrecht sei verwirkt, weil die Kundin so viele Jahre mit dem Widerruf gewartet habe. Das Oberlandesgericht als Vorinstanz hatte über diesen Verwirkungs-Einwand gar nicht entschieden. Der BGH hob daher das OLG- Urteil auf und verwies den Rechtsstreit zurück, damit das OLG prüfen kann, ob im konkreten Fall ausnahmsweise eine Verwirkung vorliegt. 

Wichtig: Der BGH betonte zugleich, dass eine Verwirkung des Widerrufsrechts nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht kommt und sehr strenge Voraussetzungen gelten. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH reicht allein ein langer Zeitablauf nicht aus; es müssten weitere Umstände hinzutreten, die beim Versicherer das berechtigte Vertrauen begründen, der Kunde werde sein Recht nicht mehr ausüben. Solche Umstände liegen nur selten vor.

Bedeutung für Versicherungsnehmer: Das Urteil vom Januar 2024 bestätigt abermals die fortbestehende Widerspruchsmöglichkeit und ist damit grundsätzlich eine Erleichterung für Verbraucher, da auch in diesem Fall ein jahrzehntealtes Vertragsverhältnis noch rückabgewickelt werden kann . Gleichzeitig zeigt der Fall, dass Versicherer vermehrt versuchen, den Verwirkungseinwand als Gegenargument zu nutzen.

 Versicherungsnehmer sollten wissen, dass die Hürde für eine Verwirkung sehr hoch ist – der BGH lässt diesen Einwand nur in seltenen Ausnahmefällen gelten  . In der Praxis bedeutet dies, dass Verbraucher ihr Widerrufsrecht in der Regel trotz langer Vertragsdauer erfolgreich ausüben können. Die Rückabwicklung könnte sich durch ein nötiges Verwirkungsprüfungsverfahren zwar etwas verzögern, wird aber im Regelfall nicht gänzlich verhindert. Insgesamt überwiegt auch hier der erleichternde Aspekt: Die Rechtsposition der Kunden wird gestärkt, da ein weiteres oberstes Urteil die Fehlerhaftigkeit der Belehrungen bestätigt hat und nur ein eng begrenztes Schlupfloch (Verwirkung) für die Versicherer verbleibt.

Fazit: Erleichterung der Rückabwicklung für Versicherungsnehmer

Die besprochenen Urteile haben die Rechte der Versicherungsnehmer bei fehlerhaften Widerrufsbelehrungen deutlich gestärkt. Insbesondere ergeben sich folgende Punkte:

  • Unbegrenztes Widerspruchsrecht: Alle Entscheidungen bestätigen, dass bei formalen Fehlern des Versicherers (fehlende oder falsche Belehrungen/Informationen) der Widerspruch auch Jahre oder Jahrzehnte nach Vertragsschluss noch möglich ist . Dies eröffnet vielen Verbrauchern einen spätzeitigen Ausweg aus langfristigen Rentenversicherungsverträgen, die sonst oft nur durch Kündigung mit Verlust (Rückkaufswert) beendet werden könnten.
  • Umfassende Rückabwicklung zugunsten des Kunden: Die Urteile legen fest, dass im Fall des wirksamen Widerspruchs der Vertrag komplett rückabzuwickeln ist. Der Versicherer muss dem Kunden alle gezahlten Prämien erstatten und darf Abschluss- und Vertriebskosten nicht einbehalten . Lediglich für bereits erbrachten Versicherungsschutz (Risikobeiträge) und Verwaltungskosten ist ein Abzug zulässig . Außerdem sind Zinsen bzw. Nutzungsersatz herauszugeben, h. der Gewinn, den der Versicherer mit den Prämien erwirtschaftet hat

. Diese verbraucherfreundliche Berechnung führt oft zu erheblich höheren Erstattungen

als der normale Rückkaufswert, was die Attraktivität des Widerspruchs für Kunden steigert.

  • Kein Rechtsmissbrauch durch Vertragsnutzung: Dass Versicherungsnehmer ihren Vertrag jahrelang bedient oder aus ihm Vorteile (z.B. Steuervorteile bei Rürup) gezogen haben, schließt den Widerspruch nicht aus. Gerichte – bis hin zum BGH – haben klar festgestellt, dass die Ausübung des gesetzlichen Widerrufsrechts in solchen Fällen kein treuwidriges oder rechtsmissbräuchliches Verhalten darstellt . Die steuerlichen Konsequenzen (etwa die Nachversteuerung genossener Vorteile) bleiben zwar bestehen, aber sie haben keinen Einfluss auf die zivilrechtliche Wirksamkeit des
  • Verwirkung nur in Ausnahmefällen: Ein mögliches Hindernis für sehr späte Widersprüche ist der Einwand der Verwirkung. Allerdings haben die obersten Gerichte signalisiert, dass Verwirkung nur unter sehr engen Voraussetzungen greift . Ein bloßer Zeitablauf genügt nicht – es müssten besondere Umstände vorliegen, die dem Versicherer ein schutzwürdiges Vertrauen geben, dass kein Widerspruch mehr kommt. Solche Umstände sind in der Praxis selten. Daher bleibt der Verwirkungseinwand ein Ausnahmefall, der die Rückabwicklung meist nicht verhindert, allenfalls verzögern kann .

Zusammengefasst: Diese Urteile erleichtern die Rückabwicklung für Versicherungsnehmer erheblich. Sie schaffen Rechtsklarheit, dass Kunden auch lange nach Vertragsbeginn bei fehlerhafter Belehrung aus dem Vertrag herauskommen und finanziell so gestellt werden, als hätte der Vertrag nie bestanden. Lebens- und Rentenversicherer müssen sich auf weitere Widersprüche einstellen, da nun höchstrichterlich geklärt ist, dass Verbrauchern bei belehrungsfehlerhaften Verträgen ein dauerhaftes Widerspruchsrecht zusteht und die volle Rückabwicklung zugunsten der Kunden zu erfolgen hat.

Für betroffene Versicherungsnehmer bedeuten diese Entscheidungen die Möglichkeit, sich von unrentablen oder unerwünschten Verträgen zu lösen und bereits gezahltes Geld großteils zurückzuerhalten – ein deutlicher Vorteil und eine Stärkung der Verbraucherrechte.